Titel
Is Spain Different?. A Comparative Look at the 19th & 20th Centuries


Herausgeber
Townson, Nigel
Reihe
Sussex Studies in Spanish History
Erschienen
Eastbourne 2015: Sussex Academic Press
Anzahl Seiten
189 S.
Preis
€ 71,71
Rezensiert für 'Connections' und H-Soz-Kult von:
Moritz Glaser, Historisches Seminar, Christian-Albrechts-Universität zu Kiel

Das hier zu besprechende Buch beginnt mit der apodiktischen Feststellung, dass die spanische Bevölkerung während des größten Teils des vergangenen Jahrhunderts davon überzeugt gewesen sei, ihr Land sei anders. Dieser Satz gilt, so der Herausgeber, nicht nur für die spanische Bevölkerung im Allgemeinen, sondern besonders für spanische Historiker. Diese beschäftigten sich lange Zeit damit zu erklären, warum Spanien, verglichen mit anderen europäischen Ländern, rückständig erschien. Erst seit den 1980er Jahren hinterfragte eine jüngere Generation von Historikern diese Sichtweise und plädierte dafür Spanien als ‚normales‘ Land 1 in den gesamteuropäischen Verlauf der Modernisierung einzubetten.

Der vorliegende Sammelband greift diese Sonderwegsdebatte wieder auf und versucht eine dezidiert komparatistische Perspektive zu entwickeln. Nigel Townson hat dazu Aufsätze von fünf ausgewiesenen Spanienspezialisten gesammelt und steuert neben der Einleitung zwei eigene Aufsätze bei. Die Bandbreite der Beiträge deckt ein Spektrum von Themen ab, die als klassisch und kanonisch für die Geschichtsschreibung zu Spanien im 19. und 20. Jahrhundert gelten können. So findet sich in der Zusammenstellung eine chronologische Gliederung wieder, die den Zeitraum seit dem frühen 19. Jahrhundert abdeckt und dabei eine Linie von den politischen Konflikten des 19. Jahrhunderts über die Zweite Republik, den Bürgerkrieg, das Franco-Regime bis zur Transición zieht.

Obwohl das Paradigma eines spanischen Sonderwegs von Nigel Townson in der Einleitung einer fundamentalen Kritik unterzogen wird, hält es der Herausgeber für so gewichtig, dass die einzelnen Aufsätze sich an dessen Aporien abarbeiten sollen, um durch die Methode des Vergleichs zu einer Neubeurteilung kommen zu können. Diese Methodik bringt jedoch einige Probleme mit sich. So zeigen sich sowohl der einleitende Beitrag als auch die folgenden Aufsätze unbeeindruckt von den nun schon jahrzehntelang andauernden Debatten über den historischen Vergleich, die Transfergeschichte und die methodischen Fallstricke der beiden Ansätze.2

Tatsächlich liefern die Beiträge Geschichten, die am Modernisierungsparadigma festhalten. Diese werden immer wieder vor allem mit Entwicklungen in Großbritannien, Frankreich, Deutschland und zuweilen auch Italien verglichen, aber ohne zu einer Systematik zu führen. Keiner der Autoren macht sich die Mühe zu begründen, warum etwa Frankreich oder Großbritannien sinnvolle Vergleichseinheiten für Spanien darstellen und anhand welcher Vergleichskategorien ein Erkenntnisgewinn erzielt werden kann. So mäandern die Beiträge durch die spanische Geschichte und werfen dabei immer wieder mal einen Blick auf ähnliche Phänomene in anderen Ländern. Beispielsweise zieht José Álvarez Junco in seinem Essay über die spanische Nationsbildung vor allem Großbritannien und Frankreich zum Vergleich heran, während María Cruz Romeo Mateo die Bürgerkriege des 19. Jahrhunderts in Spanien im Kontext der Entwicklungen in Portugal, Italien und dem Deutsche Reich interpretiert. Nigel Townson stellt in Bezug auf Antiklerikalismus und Säkularisierung immer wieder Vergleiche zu Westeuropa an; eine Kategorie, die in der Einleitung als scheinbar normsetzende Instanz eigentlich verworfen wurde. Wer die Erwartungshaltung hatte, in dem Sammelband Aufsätze zu finden, die einen konzisen, anhand klar definierter Kriterien durchgeführten Vergleich mit zwei bis drei Vergleichseinheiten praktizieren, der wird enttäuscht. Vielmehr scheinen sich die Aufsätze eher an politik- als an geschichtswissenschaftlichen Vergleichsszenarien zu orientieren.

Dafür spricht auch die Konzentration auf vornehmlich politikgeschichtliche Themen. So blenden die meisten Aufsätze sozial- und gesellschaftsgeschichtliche Themenfelder aus, von Kulturgeschichte als Gegenstand oder Perspektive ist nirgendwo die Rede. Einzig Nigel Townson bemüht sich in seinen Beiträgen über den Franquismus sowie die Säkularisierung, gesellschaftliche und wirtschaftliche Wandlungsprozesse in seine Untersuchung einzubeziehen. Diese Fokussierung auf politikhistorische Fragen mag nicht zuletzt daran liegen, dass der Sammelband den wiederholt kritisierten „methodologischen Nationalismus“ 3 verhaftet bleibt. Spanien wird als homogener Nationalstaat beschrieben, der als eine Art Container anderen nationalstaatlichen Einheiten wie Großbritannien oder Frankreich gegenübergestellt wird. Regionale Unterschiede spielen so gut wie keine Rolle bzw. werden höchstens angeschnitten, wie etwa der baskische und katalonische Nationalismus im Aufsatz von José Álvarez Junco (S. 34 f.). Dass beispielsweise touristische Regionen an Spaniens Küsten mehr strukturelle Gemeinsamkeiten mit anderen Tourismusdestinationen im Mittelmeerraum hatten, als mit weiter im Inland gelegenen Gegenden, ist eine noch zu prüfende Hypothese.

Dies führt zu einem weiteren Kritikpunkt. Inwiefern lässt sich die These einer Exzeptionalität Spaniens überhaupt prüfen, wenn Transferprozesse und Verflechtungsszenarien zwischen Spanien und anderen europäischen Ländern so gut wie übergangen werden. Hier trifft die bekannte Kritik an der Komparatistik zu, sie erschaffe durch den Vergleich überhaupt erst ihre Untersuchungsgegenstände und blende dabei Transfers und Wechselwirkungen gänzlich aus.

Die Beiträge kommen, wie zu erwarten war, zu uneinheitlichen Schlussfolgerungen. So besteht Junco darauf, dass sowohl die Ansicht, der spanische Prozess der Nationsbildung im 19. Jahrhundert sei außergewöhnlich, als auch die These, er sei vergleichbar mit ähnliche Entwicklungen in Westeuropa, aufrechterhalten werden können. Dagegen plädiert María Cruz Romeo Mateo gegen die spanische Einzigartigkeit im Hinblick auf die Bürgerkriege im 19. Jahrhundert. Nigel Townson sieht dagegen bezüglich der Säkularisierung eher ein südeuropäisches Modell, von dem sich Spanien aber durch die Diktatur Francos unterscheide. Michael Seidmann, der als einziger neben Pamela Radcliff außereuropäische Beispiele in seinen Essay miteinbezieht, kommt zu dem Schluss, dass der spanische Bürgerkrieg die größten Gemeinsamkeiten mit den Konflikten in Russland und China aufweise, wobei er alle drei als „relatively backward countries“ (S. 133) bezeichnet.

Der Band wirft mehr Fragen auf, als er beantwortet. Das scheint ohnehin der Gewinn von Sonderwegsdebatten zu sein. Sie stellen methodische Innovationen in einem Moment in Aussicht, in dem der Druck immens groß ist, auf alte Fragen neue Argumente zu finden. Nur muss man das Rad nicht neu erfinden. Eine Besinnung auf den state of the art der Vergleichenden Forschung sowie der Transfer- und Verflechtungsgeschichte könnte Licht in die dunkle Ecken bringen, die der Sammelband nicht auszuleuchten vermag.

So könnte eine vergleichende Untersuchung der erwähnten touristischen Regionen, aber auch etwa von Umweltbewegungen neue Perspektiven auf die Geschichte des Franquismus liefern. In kulturhistorischer Perspektive könnte und sollte das Paradigma der Exzeptionalität als wirkungsmächtiges Dispositiv gesellschaftlicher Selbstentwürfe historisiert werden, indem gezeigt wird, wie in Politik, Gesellschaft und Historiographie über Sonderwege gesprochen wird. 4

Anmerkungen:
1 Pablo Fusi / Jordi Palafox, España: 1808-1996. El desafío de la modernidad, Madrid 1997, S. 11.
2 Vgl. etwa Johannes Paulmann, Neue Historische Literatur. Internationaler Vergleich und interkultureller Transfer. Zwei Forschungsansätze zur europäischen Geschichte des 18. bis 20. Jahrhunderts, in: Historische Zeitschrift, 267 (1998), S. 649–685; Michel Espagne, Comparison and Transfer. A Question of Method, in: Matthias Middell /Luis Roura (Hrsg.), Transnational Challenges to National History Writing, Basingstoke 2013, S. 36-53.
3 Anthony D. Smith, Nationalism and classical social theory, in: British Journal of Sociology 34 (1983), S. 19-38, hier S. 26.
4 Vgl. zu solch einem Ansatz: Walther L. Bernecker, ‘Spanien ist anders’. Der Mythos vom spanischen Sonderweg, in: Helmut Altrichter / Klaus Herbers / Helmut Neuhaus (Hrsg.), Mythen in der Geschichte, Freiburg 2004, S. 453-470.

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